Usability-Test - 16 Methoden zur Messung der Usability
Im Zusammenhang mit dem Begriff Usability denkt man zumeist an die klassischen Test-Methoden wie den Usability-Test im Labor mit Probanden oder an eine expertenbasierte Evaluation. Doch dies ist nur die Spitze des Eisbergs. Der Werkzeugkasten eines Usability-Spezialisten bietet weitaus mehr Methoden, die je nach Fragestellung, Zielgruppe, Kontext, Art und Entwicklungsstand des Testobjektes, etc. ihren Einsatz finden. Denn die Auswahl der richtigen Test-Methode ist alles andere als trivial. Der vorliegende Beitrag liefert einen Überblick über die in der Praxis gängigen Usability-Test-Methoden.
Ein Fachartikel von Martin Beschnitt
Methodenüberblick von Usability-Tests
1. Methode: Usability-Test durch eine Aufgabenanalyse (Task Analysis)
Ziel der Aufgabenanalyse ist die Ermittlung von möglichen Modellen, die die Grundlage zur Darstellung eines nutzerzentrierten Entwicklungsprozesses sind. Hierzu werden z. B. die Aufgabenbereiche einer Website erfasst und daraus theoretische Modelle über die angenommenen Qualifikationen und Verhaltensmuster der Zielgruppe abgeleitet und dann sogenannte Use Cases erstellt.
2. Methode: Usability-Test durch Kontextanalyse (Contextual Inquiry)
Bei der Kontextanalyse werden Nutzer im Rahmen ihres natürlichen Anwendungskontextes (z. B. der Arbeitsplatz) anhand strukturierter Interviews befragt und deren Aufgabenbewältigung studiert. So können realitätsnahe Ergebnisse darüber gewonnen werden, wie der Anwender unter dem Eindruck seiner ihm vertrauten Umgebung reagiert. Unter Laborbedingungen ist dies nicht möglich.
3. Methode: Usability-Test mit Fokusgruppen
Bei einem Usability-Test mit Fokusgruppen wird eine homogene Zielgruppe unter Leitung eines neutralen Moderators in einer Gruppendiskussion und unter vorheriger Abstimmung von Themen und Aspekten dazu angehalten, Optimierungsvorschläge und Ideen zur (Weiter-) Entwicklung z. B. einer Website abzugeben. Dies wird unter Einsatz verschiedener Kreativtechniken und durch den Moderator unterstützt.
4. Methode: Usability-Test mit Nutzertagebüchern
Über handschriftlich geführte Nutzertagebücher, oder über Handys, PDAs und Onlinefragebögen, können Daten einer Zielgruppe und deren Umgang mit einem Untersuchungsobjekt zeit- und wirklichkeitsnah erfasst werden. In festen Zeitabständen halten die Teilnehmer ihre Eindrücke zu einem Produkt oder einer Anwendung anhand eines Nutzertagebuchs fest.
5. Methode: Usability-Test mittels Onsite-Befragung
Anhand eines Layers werden die Besucher einer Website zur Teilnahme an einem Online-Fragebogen eingeladen. Diese Art der Onsite-Befragung wird hauptsächlich zur Bestimmung von Nutzerstruktur/ -intentionen eingesetzt.
6. Methode: Usability-Test anhand Panelbefragung
Bei der Panelbefragung wird in einem Online-Access-Panel die gewünschte Zielgruppe abgebildet und anhand eines Online-Fragebogens befragt. Möglich sind hier beispielsweise Anforderungs-, Zufriedenheits- und Benchmarkinganalysen.
7. Methode: Usability-Test mit Personas
Aufgrund quantitativer und qualitativer Nutzerdaten lassen sich idealtypische Nutzermodelle erstellen. Diese Modelltypen (Personas) werden als Schablone für die potentielle Nutzerschaft eines Produktes angenommen und Bedürfnisse abgeleitet. Das für diese Gruppen intendierte Produkt muss diese Bedürfnisse erfüllen.
8. Methode: Synchroner Usability-Test
Synchrone Usability-Tests werden unter aktiver Beteiligung bzw. passiver Beobachtung eines Testleiters durchgeführt, z. B. über Online-Meeting-Tools. Die Testperson nutzt dabei den Computer von zu Hause oder vom Arbeitsplatz aus. Das Vorgehen des Nutzers kann so beobachtet und ggf. hinterfragt werden.
9. Methode: Asynchroner Usability-Test
Asynchrone Usability-Tests, in Verbindung mit speziellen Softwaretools, ermöglichen eine automatisierte und ortsungebundene Bewertung einer Website durch die Testperson. Die Bewältigung von Testaufgaben kann so aus der gewohnten Umgebung heraus erfolgen. Gesammelt und ausgewertet werden Mausklicks und Navigationspfade, sowie die Antworten der Testperson.
10. Methode: Usability-Test durch eine expertenbasierte Evaluation
Usability-Experten bewerten bei der expertenbasierte Evaluation aufgrund allgemein anerkannter Usability-Guidelines die Nutzerfreundlichkeit einer Anwendung. Zuerst prüft jeder Experte diese allein: dabei versetzt er sich in die Rolle eines Nutzers und versucht anwendungsrelevante Aufgaben zu lösen. Es handelt sich hierbei also um eine Kombination von heuristischer Evaluation und Cognitive Walkthrough. Im nächsten Schritt werden die durch alle Experten gefunden Probleme gesammelt und in ihrer Schwere, also ihrem Verstoß gegen die genannten Guidelines, bewertet. Ziel ist die Identifizierung möglicher Bedien- oder Verständnisprobleme einer Anwendung, die zukünftige Nutzer erfahren könnten.
11. Methode: Usability-Test mittels Card-Sorting
Bei einem Card-Sorting ordnen Nutzer Kärtchen mit Begriffen (Unterrubriken) übergeordneten Hauptkategorien zu, z. B. „Pfeffer“ zu „Gewürze“. Beim offenen Card-Sorting können die Testpersonen zudem neue Hauptkategorien definieren, falls die angebotenen nicht ausreichend erscheinen. Diese Möglichkeit ist beim geschlossenen Card-Sorting nicht gegeben. Ziel ist entweder die Überprüfung einer bestehenden Informationsarchitektur oder die Entwicklung einer solchen Struktur.
12. Methode: Usability-Test im Labor
Beim Usability-Test im Labor wird eine Anwendung zumeist szenariobasiert und nach zielgruppenspezifischer Auswahl von Nutzern getestet. Sowohl die Feststellung von Schwachstellen und Verbesserungsmöglichkeiten, also auch das Testen der Anwendung auf die Erreichung bestimmter Ziele durch den Nutzer, können erhoben werden. Usability-Experten beobachten die Testpersonen bei der Aufgabenlösung und können aktiv Fragen stellen. Die Testpersonen sind weiterhin angehalten, ihre Empfindungen und Gedanken zur Anwendung auszudrücken. Video- und Audioaufzeichnungen, sowie Eye-Tracking-Daten können erhoben und zwecks spätere Auswertung gespeichert werden.
13. Methode: Usability-Test durch Rapid Prototyping
Beim Rapid Prototyping werden bedingt-funktionale Prototypen getestet. Dabei sollen Testpersonen in szenariogestützten Tests die Anwendung „bedienen“ und dabei ihre Eindrücke verbalisieren. Die Tests finden dabei häufig in iterativer Reihenfolge statt: dem einfachen Test mit nachfolgender Prototypenoptimierung aufgrund der durch die Testpersonen verbalisierten Eindrücke folgt die Testwiederholung mit dem optimierten Typ.
14. Methode: Usability-Test durch Blickverlaufsmessung (Eye-Tracking)
Beim Eye-Tracking werden die Blickverläufe per Infrarottechnik sowie Mausbewegungen bei der Bedienung einer Anwendung aufgezeichnet. Zusätzlich kann durch die Aufforderung zum „lauten Denken“ eine Kombination verbalisierter Meinungen und aufgenommener Blickverlaufsmessungen erreicht und so wichtige Informationen über inhaltliche und gestalterische Optimierungsansätze gewonnen werden.
15. Methode: Usability-Test durch Web-Controlling / Logfile-Analyse
Web-Controlling-Tools untersuchen, woher Besucher kommen, welche Bereiche auf einer Internetseite aufgesucht und wie oft und wie lange welche Unterseiten und Kategorien angesehen werden. Es werden verschiedene Tools verwendet, um entweder eine permanente Erfolgsmessung oder Schwachpunkte einer Website zu identifizieren.
16. Methode: Usability-Test anhand multivariater Tests (MVT)
Multivariate Tests sind im Prinzip mehrere parallel ablaufende A/B-Tests. Statt nur eines Anwendungselements werden mehrere Elemente verändert. Ziel des Tests ist die Identifikation der erfolgversprechendsten Zusammenstellung der veränderten Elemente.
Weiterführende Links / Quellen
Wer online noch weitere Informationen zu den einzelnen Methoden einholen möchte, dem sind folgenden Websites („Toolboxen“) zu empfehlen:
Fazit
Heutzutage nicht mehr wegzudenken: Web-Controlling und Multivariate Tests (MVT)
Hervorzuheben sind heutzutage sicherlich die beiden Usability-Test-Methoden Web-Controlling und Multivariate Tests (MVT). Diese zeichnen sich aufgrund ihres Nutzens für Usability-Experten aus.
Web-Controlling-Tools machen es einem Usability-Spezialisten leicht potentielle Problembereiche aufgrund von Abbruchzahlen (aus dem Tracking-Tool) zu identifizieren und diesen dann im Nachgang mit anderen Methoden, wie z. B. einem Usability-Test im Labor oder einer expertenbasierten Evaluation nachzugehen. Im Nachhinein lassen sich die Tools bzw. deren Zahlen übrigens auch hervorragend nutzen um qualitativ erhobene Daten zu „quantifizieren“.
Beispiel: Aus einem Nutzertest mit 12 Probanden ergibt sich die Vermutung, dass auf der Startseite viele Nutzer abbrechen, weil die Seite bei einer Standardauflösung von 1024×768 im sofort sichtbaren Seitenbereich abgeschlossen wirkt („Scrollstopper“). Aufgrund dessen verlassen Sie die Seite, weil sie die gesuchten Informationen nicht entdecken konnten.
Man öffnet folglich das Tracking-Tool und wertet aus, ob eine Abhängigkeit der Abbrüche auf der Startseite in Verbindung mit der Auflösung besteht.
SEMINAR-TIPP ZUR WEITERBILDUNG |
---|
Zu diesem Thema bietet unser Kooperationspartner eMBIS Seminarangebote. |
Multivariate Tests (MVT) eignen sich hervorragend, um den Erfolg von Usability letztendlich zu messen. Es gilt: Nur mit einem Multivariaten Test lassen sich die tatsächlichen Umsatzeffekte von systematisch hergeleiteten Designvarianten live ausloten.
Aus diesen Gründen komplettieren diese beiden Usability-Test-Methoden die Toolbox eines jeden Usability-Spezialisten – zumindest im Webbereich.
Über den Autor
Martin Beschnitt verantwortet als Managing Director das operative Tagesgeschäft bei der eResult GmbH. Er trägt die Personalverantwortung für den Hauptstandort Göttingen und betreut als Key-Accounter wichtige A-Kunden. Als Produktmanager Mobile Geräte verantwortet er die Entwicklung von Methoden und Testverfahren für die Evaluation & Optimierung interaktiver Applikationen auf Handys & Smartphones aller Art.