Online-Usability-Test und moderierter Usability-Test in der Praxis
Mit Usability-Tests finden Sie heraus, welche Usability-Probleme ein Produkt hat. Die Benutzer bedienen das Produkt und werden beobachtet. Man sieht sofort, an welchen Stellen die Nutzer Probleme haben und kann sein Produkt anschließend zielgerichtet verbessern.
Ein Fachartikel von Johannes Müller
in Zusammenarbeit mit Markus Mattscheck
Unternehmen wie Apple setzen seit den 80er Jahren Usability-Tests ein, um mehr über ihre Nutzer zu erfahren. Mit Erfolg - Apple Produkte sind auch deswegen erfolgreich, weil die Kunden mit der Bedienung der Produkte zufrieden sind. Möchten Sie mehr über Ihre Nutzer zu erfahren? Wir zeigen Ihnen in diesem Artikel zwei Usability-Test-Methoden, mit denen Sie Probleme auf Ihrer Website oder Ihrem Online-Shop erkennen.
Am Beispiel des fiktiven Online-Shops "Turnschuh-Versand" führen wir Sie durch Planung, Durchführung und Auswertung eines Usability-Tests.
Wann werden Usability-Tests durchgeführt?
Usability-Tests können Sie in jeder Projektphase einsetzen. Leider wird oft erst das fertige Produkt getestet. Das ist ein Fehler, denn in das fertige Produkt wurde viel Arbeit gesteckt. Nachträgliche Änderungen sind aufwendig und teuer. Deswegen empfiehlt es sich Usability-Tests regelmäßig und über die gesamte Projektdauer einzusetzen. Bereits in der Frühphase erhalten Sie mit dem Test von Konzeptskizzen und Klickprototypen wertvolle Informationen von Nutzern. Als Faustregel gilt: "Wenn daran gearbeitet wird, sollte getestet werden". Finden die Tests parallel zur Produktentwicklung statt, dann können die Testergebnisse in die nächste Version des Prototypen oder Produkts einfließen.
Praxisbeispiel
Der fiktive Online-Shop "Turnschuh-Versand" hat regelmäßig Änderungen an seinem Shop - es wird dauernd daran gearbeitet. Um sicherzustellen, dass regelmäßig getestet wird, gibt es einen monatlichen Termin für Usability-Tests. Einen Vormittag im Monat hat sich das Entwicklungsteam für Tests und Nachbesprechung geblockt. So kann "Turnschuh-Versand" sicher sein, dass neue Usability-Probleme nicht lange unentdeckt bleiben.
Methode 1: Der Online-Usability-Test
Der Online-Usability-Test heißt in der Fachsprache Remote-Usability-Test, der sich in synchronem Usability-Test und asynchronem Usability-Test aufteilt. Online-Usability-Tests eignen sich gut für Websites und Online-Shops. Die Nutzer führen den Test am eigenen Rechner durch. Beim Online-Usability-Test erhalten Tester die Aufgaben per E-Mail und zeichnen Ton und Bildschirminhalt während des Tests mit einer Software auf. Diese Art von Test wird meist über spezialisierte Plattformen durchgeführt. Vorteil dieser Methode ist, dass sie verhältnismäßig kostengünstig ist und die Testnutzer direkt von der Plattform rekrutiert werden.
Bekannte Anbieter für Online-Usability-Tests
Nachteilig ist, dass viele Testnutzer "Profi-Tester" sind und regelmäßig Websites testen. Sie entsprechen häufig nicht dem gewünschten Nutzerprofil. Zudem lassen sich auf diese Weise nur Online-Produkte testen, da es eine Website geben muss, die für die Tester erreichbar ist.
Methode 2: Der moderierte Usability-Test
Moderierte Usability-Tests sind die klassische Art Usability-Tests durchzuführen und eigenen sich für komplexere Tests. Ein Moderator leitet die Nutzer durch den Test. Er kann die Aufgaben erläutern, bei Unklarheiten nachhaken und eingreifen, wenn die Nutzer zu weit vom vorgesehenen Testpfad abweichen. Er ermuntert die Nutzer "laut zu denken", während sie das Produkt benutzen. Nutzer, die laut denken, erläutern die Hintergründe für ihre Entscheidungen und machen sie nachvollziehbar.
weiterführende Informationen |
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Hier finden Sie weitere Usability-Test-Methoden. |
Moderierte Usability-Tests können vor Ort im persönlichen Kontakt mit den Testpersonen durchgeführt werden. Alternativ kann ein moderierter Usability-Test per Videokonferenz durchgeführt werden. Diese Form des moderierten Usability-Tests ist der synchrone Remote Usability-Test. Der Nutzer teilt bei diesem Test seinen Ton und seinen Bildschirm mit dem Moderator.
Praxisbeispiel
Als Online-Shop nutzt "Turnschuh-Versand" Online-Usability-Tests. Damit das Team die Möglichkeit hat, direkt mit Kunden in Kontakt zu treten, werden regelmäßig Testnutzer für einen moderierten Usability-Tests ins Haus eingeladen. Bei diesem Termin wird der Online-Shop, frühe Konzepte und Papier-Prototypen getestet.
Wer testet und wie viele Tester benötige ich?
Bei Usability-Tests werden wenige Testpersonen benötigt. Studien haben gezeigt, dass fünf Tester das beste Verhältnis zwischen Kosten und Nutzen bieten und einen Großteil der Usability-Probleme finden. Die geringe Probandenzahl ist ausreichend, weil bei Usability-Tests keine statistische Aussagekraft über die Schwere des Problems angestrebt wird. Ob ein Usability-Problem von zwei oder drei Nutzern gefunden wurde, ist unerheblich. Es sollte unabhängig davon auf jeden Fall behoben werden.
Tipp: Lieber regelmäßig nach Veränderungen mit jeweils fünf Nutzern testen, als einen großen Test mit 15 Nutzern durchzuführen.
Wie kommen Sie an die Tester?
Bei Online-Usability-Tests stellt sich die Frage nach der Rekrutierung der Nutzer nicht. Die Nutzer werden von der genutzten Plattform bereitgestellt. Es lassen sich sogar gewisse Anforderungen an die Testgruppe stellen, beispielsweise ein bestimmtes Alter oder Geschlecht.
Führen Sie moderierte Usability-Tests durch, stehen Sie schnell vor dem Problem, geeignete Kandidaten zu finden. Es lohnt sich, Tester aus dem eigenen Kundenbestand zu rekrutieren. Diese Nutzer entsprechen der gewünschten Zielgruppe. Möchten Sie eine Situation herstellen, bei der die Nutzer zum ersten Mal mit Ihrer Website in Kontakt kommen, dann sprechen Sie Menschen auf der Straße an. Gegen eine angemessene Entlohnung erklären sich viele Personen bereit, an einem Test teilzunehmen.
Nutzer aus spezielleren Zielgruppen lassen sich über Umfrage-Panels rekrutieren. Das ist entsprechend teuer, da der Panel-Anbieter Geld verdienen möchte. Wichtig ist vor allem, dass die Tester von außerhalb der eigenen Firma rekrutiert werden. Die eigenen Kollegen kennen die Website oder den Online-Shop zu gut, um unvoreingenommen an einem Usability-Test teilzunehmen.
Usability-Agenturen und Marktforschungsunternehmen helfen Ihnen bei der Umsetzung von Umfrage-Panels. Hier finden Sie Anbieterübersichten:
Anbieter von Umfrage-Panels, bei denen Nutzer durch Umfragen und Usability-Tests Geld verdienen können:
Praxisbeispiel
"Turnschuh-Versand" hat als Online-Shop noch einen weiteren Weg gefunden Tester zu rekrutieren. Sie finden Tester direkt auf der eigenen Webseite über eine Software namens ethn.io. Kunden, die gerade die Website besuchen, werden damit über eine Einblendung gefragt, ob sie Interesse haben, an einem Test teilzunehmen. Die Erfolgsquote ist hoch, da "Turnschuh-Versand" den Testern einen Warengutschein im Wert von 30 € verspricht.
Was benötigen Sie für einen Usability-Test?
Für einen Usability-Test ist nicht viel Ausrüstung nötig. Nutzen Sie eine Videoaufzeichnung, damit Sie sich den Test erneut anschauen können. Bei Online-Usability-Tests bekommen Sie von der Plattform die Videoaufnahmen der Tests geliefert. Eigenes Equipment ist nicht notwendig.
Bei moderierten Usability-Tests müssen Sie sich um die Aufzeichnung kümmern. Sinnvoll ist die Aufzeichnung auf jeden Fall. Der Moderator ist während des Tests damit beschäftigt, den Tester zu führen, seine Aktionen zu beobachten und auf Fragen zu antworten. Deswegen ist davon abzuraten, dass der Moderator eine Mitschrift anfertigt. Mit einer Videoaufzeichnung wird der Test gut dokumentiert und die Auswertung kann im Anschluss erfolgen.
Es gibt spezielle Software zum Mitschneiden der Bildschirminhalte des Testnutzers. Morae von Techsmith ist eine teure und professionelle Software mit vielen Funktionen speziell für Usability-Tests. Oft reicht die günstigere Lösung Camtasia vom gleichen Hersteller. Sie zeichnet den Bildschirminhalt des Testkandidaten auf. Hier finden Sie eine Liste mit weitere Tools für Online-Usability-Tests.
Findet der Test vor Ort statt, eignet sich eine Videokamera, um Reaktionen und Emotionen der Tester aufzuzeichnen. Vergessen Sie nicht die Einwilligung der Tester zur Videoaufzeichnung einzuholen! Über Morae können beide Videoaufnahmen (Bildschirm und Person) anschließend synchronisiert werden und parallel abgespielt werden.
Praxisbeispiel
Der Online-Shop "Turnschuh-Versand" hat sich speziell für die moderierten Usability-Tests eine digitale Videokamera angeschafft. Zusätzlich wird der Bildschirm und Ton der Testpersonen aufgezeichnet. Sie können nach dem Test alle Aktionen und "lauten Gedanken" nachvollziehen.
Wie viele und welche Fragen stelle ich bei einem Usability-Test?
Bereiten Sie die Aufgaben für die Tester sorgfälltig vor. Üblicherweise dauert ein Usability-Test 30-60 Minuten. In dieser Zeit sollen die Tester Ihre Testaufgaben erledigen. Ein Moderator führt die Nutzer der Reihe nach durch die Aufgaben oder sie bekommen die Aufgaben bei Online-Usability-Tests in Textform präsentiert. Offene Fragestellungen lassen den Nutzern Raum zu experimentieren und ermöglichen überraschende Ergebnisse.
Praxisbeispiel
Für den Online-Shop "Turnschuh-Versand" wäre diese offene Frage ein sinnvoller Test:
- "Suchen Sie nach dem Turnschuh, der Ihnen am besten gefällt. Danach legen Sie den Turnschuh in den Warenkorb".
Sie bekommen auf diese Weise heraus, welche Wege einzelne Nutzer gehen und von welchen Faktoren sie ihre Entscheidung abhängig machen. Ein Teil der Tester nutzt die Navigation, andere Tester nutzen die Suche. Manche Tester suchen ausgefallene Schuhe, andere eher alltagstaugliche Modelle. Der Nachteil an offenen Fragestellungen ist, dass die Ergebnisse schwer vergleichbar sind. Welcher Turnschuh "gefällt" ist subjektiv. Der Weg zum Ziel wird jeweils ein anderer sein.
Konkretere Fragestellung liefern vergleichbare Ergebnisse.
Praxisbeispiele
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"Finden Sie heraus, ob der gewählte Turnschuh aus echtem Leder ist."
Mit diesem Test erkennen Sie, wo die Nutzer nach dieser Information suchen. Finden nur manche der Testnutzer die Information, liegt ein Usability-Problem vor. Möglicherweise ist die Information zu versteckt. Fragen Sie die Nutzer, wo sie die Information vermutet hätten. Sie bekommen gleich eine Hilfestellung bei der Lösung dieses Problems.
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„Suchen Sie nach dem Turnschuh der Marke XY in Ihrer Größe. Nutzen Sie hierfür die Suchfunktion. Legen Sie den Schuh anschließend in den Warenkorb.“
Mit dieser Fragestellung finden Sie heraus, ob die Suchfunktion schnell gefunden wird und ob die Suche schnell zum gewünschten Treffer führt.
- „Schließen Sie den Kauf ab. Nutzen Sie hierfür folgende Daten und E-Mail-Adresse.“
Für Online-Shop-Betreiber ist dies ein wichtiger Test. Der Kaufprozess im Shop birgt viele Hürden. Und ein Kaufprozess mit vielen Usability-Problemen kostet Sie bares Geld. Ein Nutzer der einen Kauf nicht abschließt, wird nicht zum Kunden.
- „Schauen Sie in den Posteingang und öffnen Sie die Bestellbestätigung. Sind hier alle Informationen enthalten, die Sie erwarten?“
Kunden haben Erwartungen daran, was nach dem Kauf geschieht. Und diese Erwartungen müssen Sie erfüllen. Tun sie das nicht, wird das Einkaufserlebnis für den Tester nicht optimal abgeschlossen. Und damit gefährden Sie ein erneuten Kauf.
Durchführung von Online-Usability-Tests und moderierten Usability-Tests
Bei Online-Usability-Tests bekommen Sie von der Durchführung nicht viel mit. Die Nutzer erhalten Einladungen zum Testen per E-Mail und führen den Test zu Hause durch. Meist erhalten Sie innerhalb einiger Stunden bis Tage die ersten Videos mit den Testergebnissen.
Bei moderierten Usability-Tests ist das anders: Am Tag des Usability-Tests erscheinen die Nutzer vor Ort und werden vom Moderator begrüßt. Es gilt auf die Testpersonen einzugehen und ihnen Ängste zu nehmen. Erklären Sie, dass nicht sie getestet werden, sondern die Website. Die Tester können gar keine Fehler machen. Fehler in der Bedienbarkeit Ihrer Website oder Ihres Online-Shops liegen bei Ihnen. Ihr Moderator sollte im Umgang mit Menschen erfahren sein.
Nach den Formalitäten (Einwilligung zur Videoaufzeichnung nicht vergessen!) geht der Moderator die Aufgaben der Reihe nach durch. Er ermuntert die Nutzer "laut zu denken", damit Sie die Handlungen nachvollziehen können. Gibt es Aufgaben, die für eine Testperson nicht erfüllbar sind, kann der Moderator die Bearbeitung einer Aufgabe abbrechen.
Praxisbeispiel
Turnschuh-Versand nutzt moderierte Usability-Tests als Teamveranstaltung. Das gesamte Team kann in einem Nebenraum dem Test beiwohnen und zusehen, wie ihr Online-Shop bedient wird. Das ist für alle spannend, die an der Webentwicklung beteiligt sind, vom Produktmanager, über den Designer bis zum Entwickler. Nach dem Test empfiehlt sich eine offene Fragerunde mit der Testperson, in der einzelne Beobachtungen besprochen werden können.
So werten Sie die Tests aus
Nach dem Test geht es an die Auswertung der Videoaufzeichnungen. Schauen Sie sich die Videos aufmerksam an. Notieren Sie sich die interessantesten Stellen mit Zeitmarken. So finden Sie wichtige Passagen schnell wieder.
Nun haben Sie eine Liste mit Beobachtungen aus den moderierten Usability-Tests. Besprechen Sie diese Beobachtungen zusammen mit dem Team, um die zugrundeliegenden Probleme zu identifizieren. Erst wenn das Problem klar ist, suchen Sie nach einer Lösung. So verhindern Sie Aktionismus und Schnellschüsse. Ein häufiger Fehler istz es, eine Lösung zu präsentieren, bevor das Problem komplett verstanden wurde. Warnhinweise und Fehlermeldungen sind ein typisches Zeichen, dass Probleme kaschiert wurden.
Priorisieren Sie alle gefundenen Probleme, so behalten Sie Überblick. Häufig liefern Usability-Tests zu viele Probleme, um sie alle gleichzeitig zu lösen. Das ist nicht schlimm. Wenn Sie die drei wichtigsten Probleme bis zum nächsten Usability-Tests lösen, ist das ein großer Erfolg!
Praxisbeispiel
Bei "Turnschuh-Versand" diskutiert das gesamte Team die Beobachtungen in der Nachbesprechung und beteiligt sich bei der Findung der drei wichtigsten Probleme. Diese drei Probleme werden auf jeden Fall bis zum nächsten Monat behoben.
Fazit
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Mit regelmäßigen Usability-Tests können Sie jede Website und jeden Online-Shop im Sinne der Nutzer verbessern. Und eine gute Usability ist vermehrt das ausschlaggebende Kaufkriterium für Interessenten und entsprechend wichtig, um sich vom Wettbewerb abzuheben. Wer Unterstützung bei Planung, Durchführung oder Auswertung eines Usability-Tests benötigt, wendet sich am besten an spezialisierte Usability-Agenturen. Sie führen Usability-Tests als Dienstleistung durch und bieten häufig Workshops an. In diesen Workshops erlangen Sie das nötige Know-How, um Usability-Tests durchzuführen.
Wollen Sie mehr erfahren? Hier haben wir zwei Buchempfehlungen für Sie:
- "Rocket Surgery Made Easy: The Do-It-Yourself Guide to Finding and Fixing Usability Problems" von Steve Krug
- "Moderating Usability-Tests: Principles and Practices for Interacting" von Joseph Dumas
Über Johannes Müller
Johannes Müller ist Diplom-Medieninformatiker und Senior Product Manager bei carwow. Sein besonderer Schwerpunkt ist agile Produktentwicklung im Sinne des Lean UX.
Über Markus Mattscheck
Betreiber und Chefredakteur von Onlinemarketing-Praxis
Markus Mattscheck ist in seinen Tätigkeitsfeldern bereits seit 1995 fest mit dem Internet verdrahtet und verfügt über eine umfassende Marketing-Expertise. Sein Kommunikations- und PR-Background verbindet er mit seinem hohen Grad an technischem Know-how und entwickelt daraus ganzheitliche Onlinemarketing-Strategien. Dieses Wissen teilt er als Autor und schreibt praxisnah und verständlich über Fachthemen aus vielen Bereichen des Onlinemarketings.