Anforderungskatalog für Webanwendungen

Lastenheft: Anforderungen für die Webentwicklung definieren

In einem Lastenheft wird der Anforderungskatalog an ein gewünschtes Produkt festgelegt. Bei der Webentwicklung werden Lastenhefte für individuelle Webanwendungen erstellt. Das können individualisierte Content-Management-Systeme (CMS), Shopsysteme, Redaktionssysteme, Communities, Apps und andere Webanwendungen sein. So können verschiedene Lösungsangebote anhand der eigenen Vorgaben miteinander verglichen werden.

 

Ein Fachartikel von Markus Mattscheck

Was ist ein Lastenheft?

Lastenheft: Inhalt & AufbauSie wollen ein Content-Management-System, ein Shopsystem oder eine andere Webanwendung einrichten lassen. Und dieses soll für Ihre Bedürfnisse maßgeschneidert sein. Was brauchen Sie genau? Wie sollen Sie die Auftragsvergabe entscheiden? Hier ist das Lastenheft eine formale Hilfe. Es bringt Sie dazu, sich über den eigenen Bedarf klar zu werden. Wenn Sie diesen in einem Lastenheft formulieren und Webagenturen zukommen lassen, können diese passende Angebote für Ihre Webanwendung erstellen. Durch Ihre Anforderungen in dem Lastenheft lassen sich Angebote verschiedener Internetagenturen miteinander vergleichen. Dies hilft Ihnen dann bei der Entscheidung für ein Angebot. Auf diese Weise können eventuell im Vorfeld auch schon Kosten gespart werden, da Sie später nur geliefert bekommen, was Sie im Lastenheft definiert haben. Sollte es im Projektverlauf oder nach Fertigstellung Meinungsverschiedenheiten zwischen Ihnen und dem Dienstleister geben, ist ein Vertrag, dem ein beidseitig abgezeichneter Anforderungskatalog zu Grunde liegt, ein gutes Mittel, langwierige und kostspielige juristische Streitereien zu vermeiden.

Inhalte eines Lastenheftes

Es gibt keine Vorgaben zum Aufbau eines Lastenheftes. Die DIN-Norm 69905 legt allerdings im Sinne von Qualitätssicherung folgende Inhalte eines Lastenhefts fest:

  • Ist-Zustand & Zielsetzung
  • Beschreibung / Spezifikation des gewünschten Produktes
  • Produktanforderung bei Verwendung (z. B. Betriebssystem)
  • Technische Produktleistung (z. B. Serverauslastung)
  • Anforderungen an den Leistungserbringer (etwa Zertifizierungen ISO 9000, Gütesiegel)
  • Vertragsrahmen (z. B. über Teil- und Gewährleistung, Sanktionen)
  • Anforderungen an das Projektmanagement des Auftragnehmers (z. B. Qualitätsmanagement oder Projektdokumentation)

Das hört sich sehr technisch an und würde mir bei der Erstellung eines Lastenheftes nicht helfen. Daher habe ich versucht, die Punkte etwas praxisbezogener zu formulieren und nenne dabei auch Beispiele.

Ziele, die mit der Webanwendung verfolgt werden.

Beispiel Internationalität für ein CMS einer Website
Es soll ein Content-Management-System entwickelt werden, das mehrsprachige Inhalte für 12 Länder verwalten kann. Zukünftig können weitere Sprachen oder Länder hinzukommen. Die Inhalte sollen von Mitarbeitern aus den jeweiligen Ländern gepflegt werden. Dabei ist es wichtig, dass jede Ländergesellschaft seine Inhalte (auch Bereiche der Website) selber gestalten und pflegen kann. So können sich die Websites vom Aufbau her stark unterscheiden.

Beispiel Kunden-App
Wir wollen unseren Kunden über eine App Zugriff auf sein Kundenkonto geben und uns damit vom Wettbewerb abheben. …

 

Darstellung einer Website im Responsive Webdesign auf verschiedenen Endgeräten

Beispiel Responsive Webdesign

Das Frontend soll für unterschiedliche Auflösungen auf Desktop-Monitoren, Tablets und Smartphones optimiert sein und im Responsive Webdesign erstellt werden.

Funktionen, die das Content-Management-System oder das Shopsystem enthalten soll. Hier bietet sich an, Beispiele von Webseiten zu zeigen, die Ihren Vorstellungen entsprechen.

Beispiel zur dargestellten Anzahl der Produkte auf einer Kategorieseite in einem Online-Shop
Wir wollen die Anzahl der Produkte auf jeder Kategorieseite selber einstellen können. Zusätzlich soll der Nutzer die Möglichkeit haben, die Anzahl der dargestellten Produkte zu ändern.

Suchfunktion im Online-Shop mit guter Usability

Beispiel zur Autovervollständigung bei der Suche in einem Online-Shop
Die Suche in unserem Online-Shop soll eine Autovervollständigung enthalten, die dem Nutzer nicht nur anzeigt, welche Produkte es zu dem Begriff gibt, sondern auch weitere Details anzeigen. Die Suche bei fashion5.de finden wir sehr hilfreich.

Technische Daten wie Anzahl von Seiten oder Produkte, die über das System verwaltet werden sollen.

Beispiel für ein CMS für Websites
Wir haben derzeit 2 Unternehmenswebsites und 8 Produktwebsites. Alle sind eigenständig und sollen zukünftig über ein CMS gepflegt werden. Insgesamt haben die 10 Websites mehr als 650 Seiten.

Notwendige Ergänzungen, z. B. zu Themen wie Wartung, Service und Datensicherheit

Beispiel Versions-Updates bei Open-Source-Systemen

Gibt es neue Versionen des Content-Management-Systems, muss gewährleistet sein, dass ein Update nicht die Anpassung von individualisierten Funktionen zur Folge hat und erneute Kosten für Anpassungen anfallen.

 

All das waren nur kleine Beispiele. Je nach komplexität und Individualwünschen kann ein Anforderungskatalog für ein Lastenheft auch mehrere DIN-A4-Seiten beinhalten.

Chancen und Grenzen

Die Vorteile einer solchen Handhabung mit einem Lastenheft liegen auf der Hand:

  • Alle Vorgaben sind systematisch dokumentiert
  • Anforderungen sind durch Sie als Kunde bereits festgelegt
  • Die Angebote der Anbieter lassen sich objektiver vergleichen
  • Definierte Inhalte geben einem rechtsverbindlichem Vertrag Substanz

Nun fragen Sie sich, ob es auch Nachteile hat, einen solchen Anforderungskatalog zu erstellen? Die gibt es durchaus, und es ist sehr sinnvoll, sich diese zunächst auf einen Blick klarzumachen, um sie in weitere Überlegungen einzubeziehen:

  • Hoher Aufwand im Vorfeld
  • Standardisierung bei vielen Detailthemen schwierig
  • Feste Vorgaben blockieren Alternativlösungen des Anbieters
  • Somit geringe Flexibilität

Meist entstehen Aufträge schon in Zeitdruck. So kann man es meist nicht gut verkraften, schon zu Beginn Zeit und Arbeit zu investieren. Aber wie wäre die Alternative? Sie gäben sich schlecht vorbereitet in die Hände von Anbietern, die Ihnen gerne etwas verkaufen wollen, was Sie aber unter Umständen so nicht brauchen. So gesehen ist der erste Nachteil eher eine Mahnung an ein komfortables Zeitmanagement: Die Arbeit am Lastenheft bindet Personal- und Zeitkapazität. Der zweite Einwand wiegt schon schwerer: Die Standardisierung setzt hohes Vorwissen voraus, das man hat oder sich aneignen muss. Dies ist in der Tat je nach Auftrag ein Problem, besonders in Detailfragen zu komplexen Webanwendungen. Doch selbst, wenn Ihnen das gut gelingt, kann Ihnen das Folgende passieren: Sie stehen mit Ihrem gut erstellten Einkaufszettel im Laden und durch Beratung oder Augenschein stoßen Sie auf einen möglichen Bedarf, den Sie auf Ihrem Einkaufszettel nicht berücksichtigt haben. Wenn man dann nicht flexibel reagieren kann, erfährt die Umsetzung hier qualitativ deutliche Einschränkungen.

Ergänzende Maßnahmen zum Lastenheft

Das Lastenheft trägt wie beschrieben sicherlich dazu bei, einen guten Anforderungskatalog für eine individuelle Webanwendung zu erstellen. Doch als alleinige Maßnahme ist es nicht ausreichend. Es entspricht zwar der Natur des Menschen, gerne alle Eventualitäten vorab klären zu wollen, dies widerspricht aber wiederum jedem kreativen und auch dialogischen Prozess. Neben dem Lastenheft sollten Sie auch Präsentationen erstellen, mit denen Sie mit ausgewählten Anbietern dann ins Gespräch gehen. Auch Workshops sind sinnvoll und notwendig. Es zeigt sich aber dennoch, dass diese effektiver verlaufen, wenn sich der Auftraggeber mit einem Anforderungskatalog gut darauf vorbereitet hat.

Tipps vom Experten zur Erstellung eines Lastenheftes für individuelle Webentwicklungen

Martin Stoll, Geschäftsführer der mindworks GmbHMartin Stoll ist Geschäftsführer der mindworks GmbH, einer Spezialagentur für professionelle PHP-Softwareentwicklung in Hamburg. Die technische Entwicklung von Onlinemarketing-Praxis wird durch die mindworks GmbH durchgeführt. Als Geschäftsführer einer Webagentur kann er Ihnen noch einige Tipps zur Erstellung eines Lastenheftes für individuelle Webentwicklungen geben.

In wie vielen Fällen erhalten Sie von einem Neukunden ein ordentliches Lastenheft?

Martin Stoll: Ehrlich? Sehr selten. Ich wage kaum noch, Kunden danach zu fragen.  Könnte man konsequent durchgängig agile Vorgehensweisen anwenden, bräuchte man es auch nicht  – Scrum kennt kein Lastenheft. Dennoch: Es kann natürlich nur präzise kalkuliert und erst recht umgesetzt werden, was klar, vollständig und widerspruchsfrei spezifiziert wurde – fachlich, wohlgemerkt. Schließlich braucht auch der Product-Owner im Scrum-Prozess einen Plan, was er in seine Epics und User-Stories schreiben soll – auch eine Art Lastenheft, nur iterativ. Ich frage daher vorsichtig nach „Anforderungsdokumenten“, nach „irgendwelchen Unterlagen, z. B. Konzepten, die beschreiben, was umgesetzt werden soll.“. Diese Unterlagen verfeinern wir dann gemeinsam mit dem Kunden durch Fragelisten, die der Kunde beantwortet und Workshops mit dem Kunden. Dabei ist es eigentlich gar nicht so schwer, Webanwendungen zu beschreiben. Ich rate zu Mockups in Form von Wireframe-Scribbles, die mit etwas Prosa angereichert werden, um Prozesse zu beschreiben, die in statischen Abbildungen nicht sichtbar werden. Soll das Projekt nach agilen Methoden umgesetzt werden, ist bei der Konzeption immer ein gewisser Abstraktionsgrad zu wahren und nur die jeweils nächsten Schritte der Umsetzung sind detailliert fachlich auszuarbeiten. Dennoch: Auch hier ist der Masterplan, wichtig – der Product-Owner muss ihn haben, Stück für Stück verfeinern und dosiert dem Team zur Umsetzung übergeben.

Und was machen Sie, wenn der Kunde dies nicht liefert und Ihnen nur am Telefon seine Vorstellungen für seinen individuellen Bedarf schildert?

Martin Stoll: Ein Telefonat reicht als Grundlage für ein Angebot in keinem Fall aus. Ich bitte in einem solchen Fall wenigstens um ein persönliches Gespräch von mindestens zwei Stunden. In diesem Gespräch löchere ich den Kunden mit vielen Fragen und beginne gleichzeitig die Anwendung grob zu skizzieren um so die wesentlichen Merkmale für meine Angebotskalkulation zu ermitteln. Mein Angebot umfasst in einem solchen Fall immer einen kostenpflichtigen, mindestens 1-tägigen Workshop mit wichtigen Stakeholdern auf Kundenseite, um die Anforderungen für die Umsetzung zu präzisieren.

Was sollte das Lastenheft mindestens beinhalten?

Martin Stoll: So individuell wie die Anforderungen, ist auch deren Beschreibung. Es gibt hier kein eindeutiges Richtig oder Falsch. Dennoch gibt es natürlich ein paar Punkte, die bei der Erstellung helfen können: Fachlicher Hintergrund: In welchem Umfeld soll die Software zum Einsatz kommen? Ziele: Was soll mit dem Projekt, was soll mit der Anwendung erreicht werden? Eingabe, Verarbeitung, Ausgabe: Woher kommen die Daten, was soll die Anwendung mit den Daten machen und wo landen die Ergebnisse? Rollen und Rechte: Wer soll mit der Anwendung arbeiten? In welchen Rollen und mit welchen Berechtigungen? Stakeholder: Wen betrifft das Projekt auf Kundenseite? Ich empfehle, Diagramme zu zeichnen, um Zusammenhänge darzustellen. Die beschreibende Prosa kann dadurch in der Regel schlanker ausfallen und lässt sich leichter schreiben. Dies alles sind Themen, mit denen sich auch der Product-Owner eines Scrum-Projekts auseinandersetzen muss, um seine Produktvision, die Epics und User-Stories verfassen zu können.

Erarbeiten Sie auch zusammen mit dem Kunden einen Anforderungskatalog und wenn ja, sind damit Kosten verbunden?

Martin Stoll: Ja, wir führen gerne mit Kunden Workshops durch und erstellen auf Grundlage der Erkenntnisse Anforderungskataloge. Den Aufwand hierfür rechnen wir auf Tagessatz-Basis ab. In der Regel geben wir für ein Paket aus Workshop und Erstellung des Anforderungskatalogs ein Festpreisangebot ab. Das Projekt selbst setzen wir dann so konsequent, wie es die Rahmenbedingungen zulassen nach Scrum um. Wir haben Scrum erst 2013 offiziell bei mindworks eingeführt und machen bereits gute Erfahrungen mit der Methode. Bei der Einführung haben wir uns extern von Judith Andresen beraten, schulen und coachen lassen.

Fazit

Ein Lastenheft zu erstellen ist ein guter Anlass für Sie als Auftraggeber, sich über Ihre Anforderungen an ein Content-Management-System, Shopsystem, App, etc. Gedanken zu machen und einen Anforderungskatalog zu erstellen. Die Auftragsvergabe an eine Webagentur erfolgt so nach objektiven Kriterien. Die vermeintliche Starrheit, die ein Lastenheft darstellt, kann durch einen flexiblen Umgang gemildert werden.

Über Markus Mattscheck

Markus MattscheckBetreiber und Chefredakteur von Onlinemarketing-Praxis

 

Markus Mattscheck ist in seinen Tätigkeitsfeldern bereits seit 1995 fest mit dem Internet verdrahtet und verfügt über eine umfassende Marketing-Expertise. Sein Kommunikations- und PR-Background verbindet er mit seinem hohen Grad an technischem Know-how und entwickelt daraus ganzheitliche Onlinemarketing-Strategien. Dieses Wissen teilt er als Autor und schreibt praxisnah und verständlich über Fachthemen aus vielen Bereichen des Onlinemarketings.

Lastenheft: Anforderungen für die Webentwicklung definieren
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  • Praxisbezug
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